Das Ja des Nachbarn bindet auch seine Nachfolger
VGH Bayern, Beschluss vom 4. Oktober 2024,
Az. 9 ZB 23.1102
DER FALL
Ein Nachbar stimmte 1976 einem Bauvorhaben durch seine Unterschrift unter den Bauantrag zu. Das Landratsamt genehmigte den Anbau an ein Wohnhaus und
eine Terrasse; das Vorhaben wurde realisiert.
Die Zustimmung bezog sich auch auf eine geringfügige Unterschreitung der Abstandsfläche zum Nachbargrundstück.
Das wurde später verkauft, und die Erwerber verklagten das Landratsamt 44 Jahre nach Erteilung der Baugenehmigung mit dem Ziel, die Erlaubnis rückgängig zu
machen.
Hilfsweise verlangten sie bauaufsichtliche Maßnahmen gegen das Vorhaben. Das VG Würzburg wies die Klage ab.
DIE FOLGEN
Zu Recht, wie der VGH Bayern entschied. Die Baugenehmigung ist nicht nichtig, weil sie keinen schwerwiegenden, offenkundigen Fehler enthält. Die Rechtsnachfolger
des Nachbarn sind an dessen damalige Zustimmung gebunden; sie treten automatisch in die nachbarrechtliche Stellung ihres Vorgängers ein.
Die Zustimmung ist grundstücksbezogen und hat dingliche Wirkung. Zugleich enthält die Zustimmung einen Verzicht auf sämtliche subjektiv-öffentlichen Rechte. Die mit
Zustimmung des Nachbarn erteilte, bestandskräftige Baugenehmigung und die Errichtung des Vorhabens entsprechend der Genehmigung und genießen
Eigentumsschutz (Art. 14 GG).
Dies gilt insbesondere dann, wenn Gebäude bereits jahrzehntelang stehen. Dass die Terrassenumwehrung entgegen dem damaligen Einverständnis nicht lichtdurchlässig ausgeführt wurde, ließ die Rechtswirksamkeit der Baugenehmigung unberührt.
Der Bauherr darf nach der langen Zeit und weil die Ausführung unbeanstandet blieb, darauf vertrauen, dass dagegen nicht mehr vorgegangen wird. Da keine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele des Abstandsflächenrechts vorliegt, lehnte das Gericht auch den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten ab.
WAS IST ZU TUN?
Grundstückserwerber können sich bei einer vorhergehenden Zustimmung ihres Rechtsvorgängers nicht mit Erfolg gegen baurechtswidrige Zustände wehren. Dies
jedenfalls dann nicht, wenn entsprechend der zugestimmten Baugenehmigung gebaut wurde. Liegen Anhaltspunkte für einen Baurechtsverstoß vor, sind Grundstückserwerber
gut beraten, vor Kaufvertragsschluss in Erfahrung zu bringen, ob eine Nachbarzustimmung erfolgte. Es dürfte dafür nötig sein, die Bauakte einzusehen,
da die Zustimmung nicht zwingend im Baulastenverzeichnis eingetragen werden muss. Wie die Entscheidung des VGH Bayern zeigt, genügt die Unterschrift des Bauherrn unter dem Bauantrag. (redigiert von Monika Hillemacher)
Rechtsanwalt Ingo Kolms (LL.M.)
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