Corona, BGH XII ZR 8/21 mit einem Verkündungstermin am 12.01.2022

Thema: Warten auf den BGH „Zu der Frage, ob ein von Schließungsanordnungen betroffener Gewerbemieter während der Dauer des Lockdowns zur Fortzahlung der Miete verpflichtet ist“

Was ist gestern im Rahmen der mündlichen Verhandlung passiert?

Vielleicht hatten wir uns alle schon ein wenig zu sehr an die neuere Praxis auch und insbesondere des VIII. Zivilsenats des BGH gewöhnt. Dieser unter anderem für Wohnraummietverhältnisse zuständige Senat hatte - unter der Führung von deren bis zum 30.09.2021 tätigen Vorsitzenden Frau Dr. Milger - nicht selten bei wichtigen Entscheidungen bereits am Tag der mündlichen Verhandlung jedenfalls eine Presseerklärung verlautbaren lassen, der die wesentlichen Gesichtspunkte der Rechtsauffassung des Senats bereits entnommen werden konnten.

Der für das Gewerbemietrecht zuständige XII. Senat (unter der Führung von dessen Vorsitzendem Herrn Dose) ist im Verhältnis dazu vielleicht eher „old-school“ verfahren. Der Senat hat sich womöglich nicht von dem großen Interesse der Öffentlichkeit leiten lassen und direkt am Verhandlungstag eine Presseerklärung veröffentlicht. Vielleicht ist das auch gut so.

Im Rahmen der ersten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu diesem Komplex kann man es auch als besonders sorgsam und nachvollziehbar betrachten, wenn der Senat nicht mit einer vorgefertigten Meinung und Presseerklärung in die mündliche Verhandlung tritt, sondern - entsprechend dem Auftrag der ZPO - in den Sach- und Streitstand einführt, um mit den Parteien offen und unvoreingenommen die Sach- und Rechtslage zu erörtern.

Dieses Procedere des Senats deckt sich auch mit der Rechtspraxis der unteren Tatsacheninstanzen der letzten Jahrzehnte. Es verlangt uns Rechtsanwendern zwar noch weitere Geduld ab. Betrachtet man jedoch, dass sich die Entscheidung vermutlich ohnehin nicht mit allen offenen Rechtsfragen befassen kann, so lässt sich mit dieser Entwicklung leben. Es wird noch mehrerer Urteile des BGH bedürfen, um deren Bewertung insgesamt nachvollziehen zu können.

Was lässt sich bereits erahnen?

Was der Tagespresse entnommen werden konnte, war eine Tendenz des Senats zur Annahme des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für diesen Sachverhalt des Mieters KIK in Chemnitz. Offenbar folgt man dem Appell und der der Richtung des Gesetzgebers aus Art. 240 EGBGB, § 7. Mit jener zum 31.12.2020 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelung sollte insbesondere für Gewerbemietverhältnisse eine Art Vermutung der Beeinträchtigung der Geschäftsgrundlage geschaffen werden, wenn Betriebe von Mietern infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie erheblich eingeschränkt worden sind. Jene gesetzliche Grundlage wurde kontrovers diskutiert und mutete für nicht wenige als nur beschränkt gelungen an. Das Ziel des Gesetzgebers ließ sich aus jener Norm allerdings erkennen.

Im Rahmen des § 313 BGB scheint der Senat allerdings nicht der Rechtsauffassung des OLG Dresden folgen zu wollen, wonach eine pauschale Kürzung der Nettokaltmiete um 50 % erfolgen solle. Maßgeblich seien vielmehr alle Umstände des Einzelfalls, die erforderlichenfalls von den Parteien dargelegt und von dem Tatrichter bewertet werden müssten. Alles andere wäre aus unserer Sicht auch eine große Überraschung gewesen. Praktikable Vereinfachungen dieser komplexesten rechtlichen Situation seit dem Zweiten Weltkrieg wären womöglich zur raschen Entscheidungsfindung wünschenswert; sie hätten jedoch keine Grundlage in der Norm finden können. Folgerichtig dürfte diese Auffassung bei deren Aufrechterhaltung in den Entscheidungsgründen zu einer Zurückverweisung an das OLG Dresden führen, das dann zu bewerten hätte, wie die Situation lag.

Folgen für die Gerichtspraxis?

Bei dem Erfordernis der Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls werden Prozessakten ihrem Umfang nach zu „Gürteltieren“; der Aufwand im Rechtsstreit kann nun für die Parteien beachtlich sein. Wohl jenen, die klare Auflagen und Hinweisbeschlüsse von den zur Transparenz und Klarheit (Prozessförderungspflicht) angehaltenen Gerichten erhalten. Gut beraten sind jene Parteien, die umfassend vortragen und ihre anwaltlichen Vertreter mit allen Umständen ihrer Geschäftsentwicklung, ihrer alternativen Geschäftsideen, der ihnen gewährten und bereit stehenden Fördermittel usw. versorgen. Alles wird auf den Tisch müssen.

Folgen für die Beratungspraxis?

Vielleicht bietet aber gerade eine solche Rechtsprechung auch noch einmal einen Anreiz an die anwaltlichen Berater, den Parteien diesen Aufwand zu ersparen, um Mietverhältnisse zu erhalten, die man vermutlich ohne den Vertragspartner zeitnah nicht zu denselben Bedingungen abschließen können würde.

Ausblick

Eine Bestätigung ihres Handelns dürften hoffentlich all‘ jene Vermieter verspüren, die im Vorfeld jener obergerichtlichen Justiz mit deutlichem Entgegenkommen transparente Lösungen mit Ihren Mietern vereinbart haben. Dass sie dabei vielleicht seinerzeit noch nicht die Entwicklung der Fördermittel hätten absehen können und sie sich bei deren Berücksichtigung womöglich wirtschaftlich hätten besser stellen können, sei nun anders herum den Mietern ein Anreiz, im Rahmen unterschiedlicher Vorstellungen zu anderen Aspekten nicht zum Streithammel oder Pfennigfuchser zu werden. Diese Pandemie fordert uns alle. Nur gemeinsam können wir wieder auferstehen und die sich erst 2022 realisierenden Folgen (wie z.B. die steigende Inflation) wieder einfangen.

Rechtsanwalt Frank Weißenborn
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht

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