Sorgfaltsanforderungen an Baggerfahrer beim Rückwärtsfahren auf der Baustelle?

BAURECHT

OLG Frankfurt, Urteil vom 23. Juli 2025,

30 U 68/52

PROBLEM/SACHVERHALT

Auf einer Baustelle überfuhr ein Baggerfahrer (B), gleichzeitig Geschäftsführer des Bauunternehmens (BU), bei Erdarbeiten den Fuß eines hinter dem Bagger arbeitenden Handwerkers (H), der als Nachunternehmer des BU mit Abdichtungsarbeiten beauftragt war. B hatte vor dem Unfall den Bagger bei Transportarbeiten ca. zehnmal maximal um 1 m zurückgesetzt.

Beim Unfallhergang fuhr er weiter zurück, ohne sich um die Rangierfreiheit des hinter seinem Bagger liegenden Baustellenbereichs zu kümmern. Im Unfallzeitpunkt kniete H, dem kein fester Arbeitsbereich zugewiesen worden war, direkt hinter dem Bagger, um Abdichtungsbahnen zuzuschneiden.

Die gesetzliche Unfallversicherung erstattete H die ihm entstandenen Kosten und verlangt aus übergegangenem Recht die Erstattung dieser Aufwendungen von B und BU als Gesamtschuldner. Weiterhin begehrt sie die Feststellung auf Verpflichtung von B und BU, etwaige weitere Aufwendungen für eine nach Sachverständigenfeststellung mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 1% eintretenden zukünftigen Arthrose zu erstatten.


ENTSCHEIDUNG

Zu Recht! Mit Regulierung des Schadens ging der Anspruch des H gegen B und BU auf die Versicherung über (§ 116 SGB X). B fügte H als Verrichtungsgehilfe des BU eine Körperverletzung zu, weshalb beide als Gesamtschuldner haften (§ 823 Abs. 1 BGB, § 31 BGB analog). B handelte fahrlässig, weil er bei der Steuerung des Baggers weder die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften (UVV), die Bedienungsanleitung des Baggers noch die Regelungen der StVO beachtet hatte.

Zur Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen an den Baggerführer können die UVV herangezogen werden. Diese stellten verbindliche Regelungen dar, die prozessrechtlich als Anscheinsbeweis bzw. Beweisanzeichen fungierten. Für die Beweisführung reiche daher die Feststellung der Tatsachen. An diese knüpft der relevante Erfahrungssatz an, dass ein Unfall beim Rückwärtsfahren mit einer Sorgfaltspflichtverletzung einhergehe. Weiterhin sei die Bedienungsanleitung des Baggers zur Konkretisierung rechtlicher Sorgfaltspflichten heranzuziehen.

Diese würden nahezu inhaltsgleiche Vorgaben an die Sorgfaltspflicht für den Umgang mit Erdbaumaschinen enthalten wie die UVV. Und schließlich ergebe sich der gleiche Sorgfaltsmaßstab aus dem jedenfalls analog anwendbaren § 9 StVO. Zwar finde auf der Baustelle kein öffentlicher Verkehr im Sinne der StVO statt, jedoch finde dort regelmäßig eine Gefährdung des dortigen Fußgängerverkehrs statt. Auch sei Rückwärtsfahren nur dann zulässig, wenn eine Gefährdung Dritter auszuschließen ist. Bei Unfällen durch Rückwärtsfahren streite immer der Anscheinsbeweis gegen den rückwärtsfahrenden Fahrer.

Diesen Beweis zu erschüttern, gelang B und BU nicht. Das OLG verneinte auch ein Mitverschulden des H gem. § 254 BGB. Er habe darauf vertrauen können, dass B den Bagger nicht ohne Berücksichtigung der Fläche dahinter hineinsteuert. Den Feststellungsantrag bestätigte das Gericht ebenfalls. Auch wenn der Sachverständige von einer Wahrscheinlichkeit einer Arthrose von nur 1% ausgehe, reiche dies. Für die Bestätigung eines Feststellungsantrags sei nur ein möglicher Schadenseintritt erforderlich.

PRAXISHINWEIS

Bei Ansprüchen aufgrund von Unfällen beim Rückwärtsfahren auf der Baustelle hilft dem Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins, den der Verursacher in Abhängigkeit vom Unfallhergang nur schwer entkräften kann. Zudem werden bei diesen Unfällen die Vorschriften der StVO analog angewendet.

 

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Rechtsanwältin
Dr. Petra Sterner LL.M. (UCT)

Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht

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