Nachbarn müssen blendende Photovoltaikanlage dulden
OLG Braunschweig, Urteil vom 14. Juli 2022,
Az. 8 U 166/21
Der Fall
Auf dem Hausdach eines Nachbarn befindet sich eine Photovoltaikanlage, die in Richtung des Wohnhauses eines der umliegenden Grundstückseigentümer ausgerichtet ist. Der Grundstückseigentümer fühlt sich durch die Reflexion der Sonneneinstrahlung auf die Paneele unzumutbar geblendet. Er meint, die Grenzwerte für solche Reflexionen seien überschritten, und verlangt, dass sie beseitigt werden. Das Landgericht Göttingen holte ein Sachverständigengutachten ein und wies die Klage anschließend ab.
Die Folgen
Der Eigentümer ging in Berufung, blieb damit aber erfolglos. Das OLG stellte zunächst klar, dass Reflexionen der Sonneneinstrahlung einer Photovoltaikanlage grundsätzlich und auch im zu beurteilenden Fall eine Beeinträchtigung des Eigentums darstellen. Ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch besteht jedoch nur, wenn es sich um eine wesentliche Beeinträchtigung handelt. Für die Frage, ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist, kommt es auf das Empfinden eines „verständigen durchschnittlichen Benutzers“ des beeinträchtigten Grundstücks an (BGH, Az. V ZR 169/04).
Verbindliche Richtwerte für Reflexionen durch Sonneneinstrahlung existieren hingegen nicht. Nach einer Empfehlung der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) soll eine erhebliche Belästigung vorliegen, wenn eine Blendwirkung über mindestens 30 Minuten am Tag oder 30 Stunden pro Kalenderjahr entsteht. Diese Empfehlung gilt zwar für Freiflächen-Photovoltaikanlagen, die in der Regel mehrere Hektar umfassen. Sie kann aber, so das OLG, als Entscheidungshilfe herangezogen werden. Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens wirkten die Reflexionen nur an 60 Tagen im Jahr und insgesamt unter 20 Stunden pro Jahr auf den Wohnraum des Klägers ein. Die Beeinträchtigung war daher nicht wesentlich.
Was ist zu tun?
In Zeiten, in denen sich Energiekosten stetig verteuern, steigt die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen zunehmend. Einige Bundesländer, darunter etwa Berlin, sehen zudem eine Verpflichtung zur Errichtung von Photovoltaikanlagen vor. Zwar gelten derzeit keine festen Grenzwerte für das Blendverhalten solcher Anlagen. Dennoch können sich Ansprüche der Nachbarn ergeben, wenn diese bei Sonneneinstrahlung unzumutbar geblendet werden. Das ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände zu überprüfen. Wenn die Blendwirkungen im betreffenden Wohngebiet ortsüblich sind, kann jedoch auch eine Duldungspflicht derartiger Reflexionen bestehen, hatte das OLG Düsseldorf (Az. I-9 U 35/17) im Juli 2017 geurteilt.
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Rechtsanwalt Ingo Kolms (LL.M.)
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