Außerordentliche Kündigung erst nach Fristsetzung

Bevor ein VOB/B-Vertrag außerordentlich gekündigt wird, muss der Bauherr dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Fertig-stellung setzen. Das gilt auch, wenn eine Vertragsfrist vereinbart war und diese verstrichen ist.

OLG Hamburg, Urt. v. 22.07.2020, Az. 4 U 63/19

Der Fall

Ein Bauherr beauftragte einen Unternehmermit der Errichtung von vier Stadthäusern. Der Bauvertrag enthält den Hinweis, dass „die Verdingungsordnung für Bauleistungen, Teil B mir/uns ausgehändigt“ wurde. Der Auftragnehmer begann mit der Bauausführung und übersandte dem Auftraggeber auf dessen Aufforderung hin einen Bauzeitenplan und später noch eine Aktualisierung des Plans. Nach diversen Abmahnungen kündigte der Auftraggeber den Vertrag außerordentlich fristlos und ließ das Bauvorhaben durch Dritte fertigstellen.

Der Bauherr verklagte den Unternehmer auf Erstattung von Mehrkosten und Verzugsschadenersatz in Höhe von ca. 310.000 Euro. Die Parteien stritten darüber, ob ein fester Fertigstellungsterminvereinbart worden war. Das LG Hamburg wies die Klage ab.

Die Folgen

Die Klageabweisung durch das LG erfolgte zu Recht, entschied das OLG. Eine Nichtzulassungsbeschwerde wies der BGH im Februar 2021 zurück (Az. VII ZR 129/20). Das OLG ließ offen, ob der im Vertrag enthaltene Hinweis auf die Übergabe der VOB/B zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Unternehmers führte. Die Beweisaufnahme ergab, dass der Bauherr bei Vertragsunterzeichnung die Möglichkeit hatte, von dem Text der VOB/B Kenntnis zu nehmen. Sie wurde somit wirksam in den Vertrag einbezogen.

§§ 8 Abs. 3 Nr. 2 und 5 Abs. 4 VOB/B halten einer Inhaltskontrolle stand. Danach kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn eine von ihm gesetzte angemessene Frist erfolglos verstrichen ist. Eine unangemessene Benachteiligung eines Verbrauchers liegt nicht vor. Dass ein Fertigstellungstermin vereinbart war, war nicht entscheidend. Denn er war obsolet geworden, weil der Auftraggeber die Bauzeitenpläne des Unternehmers akzeptierte und dessen Abschlagsrechnungen fortlaufend in voller Höhe bezahlte. Er hätte dem Auftragnehmer daher vor der Kündigung eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung setzen und erklären müssen, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehen werde. Auf vorherige Abmahnungen kam es nicht an.


Was ist zu tun?

Bei einem Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher muss der Text der VOB/B an den Verbraucher übergeben werden. Jedenfalls muss er die Gelegenheit erhalten, von dem Text Kenntnis zu nehmen. Diese Möglichkeit bestand in dem Fall, den das OLG Hamburg zu entscheiden hatte. Bevor ein VOB/B-Bauvertrag außerordentlich gekündigt wird, bedarf es selbst bei Vereinbarung einer Vertragsfrist der vorherigen angemessenen Fristsetzung, wenn der Bauherr spätere einseitige Änderungen der Vertragsfrist durch den Auftragnehmer ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten akzeptiert. (redigiert von Anja Hall)

 

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Rechtsanwalt Ingo Kolms (LL.M.)
Tätigkeitsschwerpunkt: Öffentliches Baurecht

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